Nachdem ich hier ein paar Beiträge gelesen (oder besser: überflogen) habe, wollte ich mal einige grundsätzliche Sachen zum Eingliederungshilferecht aus dem SGB VII von mir geben, die vielleicht nicht ganz uninteressant sein dürften.
Das Gesetz sieht im achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII – früher das Kinder- und Jugendhilfegesetz KJHG) eine ganze Reihe von Hilfemaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen vor, deren Integration in die Gesellschaft gefährdet ist. Unter Anderem – und hierauf will ich mich hier konzentrieren – die in § 35a SGB VIII normierte Eingliederungshilfe. In diesem Artikel will ich mich zudem auf das Problem der Beschulung konzentrieren, da auch mein eigenes Tätigkeitsfeld in diesem Bereich hier seinen Schwerpunkt hat.
§ 35a SGB VIII lautet auszugsweise wie folgt:
„(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. [...]“
Die Vorschrift ist in ihrem Wortlaut noch viel länger – aber das würde jetzt hier nur verwirren.
Die Voraussetzungen, welche zu einem Anspruch auf Eingliederungshilfe führen, lassen sich also wie folgt darstellen:
Es muss die individuelle seelische Störung gegeben sein, die über individuelle Einschränkungen zu sozialen Beeinträchtigungen führt. Dieser Zustand muss zudem mehr als sechs Monate anhalten – wenn wirklich ADHS oder ADS vorliegt, dürfte dieses Merkmal kein Problem darstellen, da es sich um eine prinzipiell lebenslange und unheilbare Störung handelt. Allerdings kann der Betroffene unter den richtigen Rahmenbedingungen lernen, hiermit umzugehen und in der Folge ein ganz normales Leben zu führen. Die richtigen Rahmenbedingungen zu liefern, ist Aufgabe des SGB VIII.
Das Ergebnis ist nicht selten auf der schulischen Ebene, dass seitens des Schulamtes der sonderpädagogische Förderbedarf festgestellt wird und unser Kind auf der staatlichen Förderschule (im Volksmund besser als Sonderschule bekannt) landet – hier ist es allerdings regelmäßig mehr als nur falsch aufgehoben.
Jedes Kind hat einen verfassungsmäßigen Anspruch auf begabungsgerechte Beschulung. Da die Förderschulen allenfalls einen Abschluss liefern, der mit einigermaßen gutem Willen ungefähr dem Hauptschulabschluss entspricht, kann man sich die Zukunftsaussichten unseres ADHS-Kindes an zwei Fingern ausrechnen. In den allermeisten Fällen sind diese Kinder nicht gerade dumm und können einen weit höheren Abschluss erreichen – meist das Abitur. Nur können das die staatlichen Regelschulen in der Regel schon aufgrund der Klassengröße nicht leisten, diesen Abschluss den Betroffenen auch zu vermitteln. Dementsprechend hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW die Rechtsprechung entwickelt, wonach ein ADHS-Kind auf einer Regelschule per se nicht beschulbar ist.
Das Jugendamt ist zuständig für die Durchführung der Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII. Allerdings wird dieses nicht sofort und besonders willig für eine schulische Eingliederung sorgen – das hat seine Ursache darin, dass eine begabungs- und behinderungsgerechte Beschulung in diesem Bereich bislang ausschließlich durch private Schulen (z.B die HEBO-Schule in Bonn
http://www.hebo-schule.de) geleistet werden kann und diese ihren Preis haben. Hinzu kommt häufig das Erfordernis einer Internatsunterbringung mit entsprechender Ausrichtung (z.B. Villa ARGO
http://www.internat-argo.de oder das Bad Godesberger Internat Maichle
http://www.gim-bonn.de).
Das Gesetz spricht in diesem Zusammenhang von ambulanter Hilfe und vollstationärer oder teilstationärer Unterbringung – hinter diesen eher an einen Klinikaufenthalt erinnernden Begriffen verstecken sich in Wirklichkeit die Schule und das Internat.
Neben dem Vorliegen der im Gesetz normierten Voraussetzungen müssen zunächst einige formelle Voraussetzungen erfüllt werden, um einen Antrag auf Eingliederungshilfe beim Jugendamt durchzukriegen: so muss natürlich erst einmal eine Fachdiagnose durchgeführt werden. Zudem erfordert es eine Stellungnahme des schulpsychologischen Dienstes, einen selbstverfassten Familienbericht mit möglichst genauer Darstellung der individuellen und familiären Entwicklung seit Abraham und zu guter Letzt muss gemeinsam mit dem Jugendamt ein Hilfeplan erstellt werden, welcher in Hilfeplangesprächen (HPG) erarbeitet wird, die etwa im sechsmonatigen Rhythmus stattfinden. In diesen HPG wird das Jugendamt eventuell viel Kreativität entwickeln, welche zum Ergebnis hat, das Kind überall hinzuschicken, nur nicht auf eine teure Privatschule – ein Weg in die Sackgasse! Sollte das Schulamt den sonderpädagogischen Förderbedarf festgestellt haben, so muss dieser auf jeden Fall noch vor Antragstellung auf Eingliederungshilfe wieder aufgehoben werden, weil dieser die Eingliederungshilfe sperrt. Sollte das Schulamt sich mit der Aufhebung schwer tun, so hilft oft schon der Antrag der probeweisen Aussetzung des sonderpädagogischen Förderbedarfs im Zusammenhang mit einer begabungsgerechten und krankheitsbildentsprechenden Beschulung. In der Regel führt dies dazu, dass nach entsprechenden Erfolgen in der „neuen Schule“ der Förderbedarf nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.
Gemäß § 14 Abs.2 SGB IX hat die Behörde nach Antragstellung unverzüglich, spätestens allerdings innerhalb von drei Wochen nach Antragstellung entweder ein erneutes Gutachten einzuholen, oder den Antrag zu bescheiden. Diesen Zeitraum muss man mindestens abwarten, bevor das Kind an einer entsprechenden Schule angemeldet wird. In der Praxis trägt man aber zunächst auf jeden Fall das Kostenrisiko, da der Vertrag mit der Schule einegegangen wird und aus diesem auch eine Zahlungsverpflichtung besteht. Hinsichtlich der Dreiwochenfrist sind die Verwaltungsgerichte auch manchmal erstaunlich großzügig gegenüber dem Amt, sodass man schnell wegen einer unzulässigen Selbstbeschaffung dauerhaft auf zumindest einem teil der Kosten hocken bleibt.
Die Jugendämter haben eine gewisse Neigung, entweder überhaupt nicht zu reagieren oder auf Teufel komm raus neue Gutachten anzufordern oder die Eingliederungshilfe von vornherein abzulehnen. Jedenfalls wird man wahrscheinlich irgendwann vor der Situation stehen, den Anspruch durchklagen zu müssen. Ich sage es direkt: die Sache ist kostenintensiv und wird erfahrungsgemäß nicht in der ersten Instanz gewonnen – dafür allerdings dann beim OVG (zumindest in NRW) mit der Folge, dass das Jugendamt dann auch die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Man braucht in der Zeit noch einmal viel Kraft und Nerven – selbst im Eilrechtsschutzverfahren kommt da gut und gerne schon einmal ein Jahr zusammen und dann hat man auch nur einen Teilerfolg, weil das Hauptsacheverfahren nach wie vor läuft und theoretisch auch anders ausgehen kann, als der vorläufige Rechtsschutz. Ich persönlich habe noch nie erlebt, dass eine solche Sache von der Rechtsschutzversicherung gedeckt wurde – das Rechtsgebiet ist so exotisch, dass die noch nicht einmal auf die Idee kommen, dass man das versichern könnte. Nach meinem Kenntnisstand gibt es in ganz Deutschland drei Anwälte, die das machen – und ich bin einer davon.
Übrigens gibt es ein Wahlrecht der Sorgeberechtigten – Man muss also keineswegs alles hinnehmen, was die Jugendämter vorgeben. Gibt es allerdings eine gleich geeignete Alternative, die kostengünstiger ist, als die Wunschschule, so muss man die billigere nehmen.
Und noch etwas: es handelt sich nicht um eine Sozialleistung im Sinne der Sozialhilfe. Die ambulante Hilfe und die teilstationäre Unterbringung (also etwa die reine Beschulung ohne Internatsunterbringung) wird vollständig ohne Zuzahlung vom Staat getragen und das unabhängig vom eigenen Einkommen – lediglich die vollstationäre Unterbringung (also hier das Internat) führt dazu, dass die Eltern zu den Kosten herangezogen werden; hierzu gibt es eine Art Düsseldorfer Tabelle, in welcher die Höhe der Heranziehung in Abhängigkeit vom Einkommen festgelegt wird – bei Hartz IV Empfängern ist dies regelmäßig die Höhe des Kindergeldes.
Da es sich hier nicht um eine Sozialleistung handelt, sind auch nicht die Sozialgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte zuständig. Das führt dazu, dass (in den meisten Bundesländern) kein Widerspruchsverfahren mehr durchgeführt wird, sondern direkt Klage erhoben werden muss (näheres findet sich hierzu in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides). Außerdem gilt bei kompletter Untätigkeit des Amtes die Maßgabe, dass nach 3 Monaten auch die Untätigkeitsklage erhoben werden kann, ohne dass ein Bescheid vorliegt. Ich meine zwar, dass dies aufgrund der kurzen Fristen im Eingliederungshilferecht auch schon früher zulässig sein dürfte - das wird aber nicht von allen Gerichten ebenso gesehen.