Beitrag
von Caesi » 20. April 2018 11:06
Nach langem Lesen muss ich gestehen, das Thema hat mich sehr berührt auf vielerlei Art. Das ein oder andere Aha!-Erlebnis war dabei, aber auch viel Abwehr, wenn ich die ein oder andere Äußerung gelesen habe. Ich konnte nicht alles erfassen und vergesse vermutlich wieder die hälfte der Gedanken die mir beim lesen durch den Kopf gingen... dennoch versuche ich meine Gedanken zusammen zufassen und hoffe das sie ein wenig weiterhelfen. Ich schreibe auch bewusst mein Erlebnis des Themas, weil spekulieren über die Gedanken anderer selten genau diese Gedanken trifft, aber mit viel Glück in meiner Empfindungs-/Gedankenwelt etwas verborgen ist, das euch hilft.
Ich gestehe das mich das ärgert, wenn ich ein rausreden auf die Krankheit höre. Weil jeder sein Leben selbst in der Hand hat. Wenn die Nichte meines Exmannes früher auf die Äußerung "Nun bleib doch mal still sitzen" mit dem Satz "Geht nicht ich hab mein Medikament noch nicht genommen" antwortete, hab ich innerlich gekocht. Mir kamen dann Gedanken in den Sinn wie: "Ja sorry das ich den Typen ermordet hab, ich hab mein Medikament noch nicht genommen" sind ja auch keine Ausreden und verhindern die Strafe nicht. Eben weil ein jeder Mensch Eigenverantwortung trägt. Die kann einem niemand abnehmen. ABER! auch wenn ich keine Diagnose hatte, hatte ich mein Leben lang schon einen gewissen Leidensdruck im Alltag und das einzige was mich davor rettete war meine kleine eigene Welt. Ich hatte immer das Gefühl nicht her zu gehören, auf dem falschen Planeten geboren worden zu sein. Oft habe ich das Gefühl das der andere gar nicht versteht was ich versuche ihm zu sagen, oder was in mir vor sich geht, und oder es auch gar nicht verstehen WILL. Ob dem so ist, weiß ich natürlich nicht. Aber das ist eben ein Problem das sicher noch mehr Menschen mit AD(H)S oder anderen Erkrankungen haben und ob dem so ist oder nicht, sobald dieses Gefühl da ist, macht man dicht, denn es ist für die entsprechende Person real in diesem Moment, das schlimmste was man dann tun kann ist ihr dieses Gefühl abzusprechen, was besser hilft, ist zu schauen was hat dir dieses Gefühl vermittelt.
Was dazu kommt, ich weiß nicht ob es anderen Menschen mit ADS auch so geht, ist dieses Gefühl keine Worte zu finden für das was gerade in einem vor sich geht. Oder sie kommen erst nach stundenlanger Diskussion um den heißen Brei ans Tageslicht.Warum das wichtig ist kommt später zu tragen in meinem Text.
Zuerst ich finde es gut das du deinen Mann verstehen möchtest! Aber ich lese auch viele Dinge heraus die meiner Ansicht nach schlichtweg zu weit gehen. Bitte entschuldige meine harten Worte, aber dein Mann ist ein Erwachsener Mensch, kein Kind. Teilweise klingen die Beiträge als suchst du für dich Rechtfertigungen, die dein Verhalten als Richtig erklären. Auch wenn Sätze wie "Mich stört es nicht" von ihm sicherlich nicht korrekt sind und ich verstehe das diese einen gewaltig ärgern, basiert eine Beziehung auf zwei Seiten. Zwei Menschen mit ihren Eigenheiten, die sich irgendwie zusammen raufen müssen und einen Weg für sich finden müssen wie sie ein harmonisches Zusammenleben führen können. Du kannst für dich schauen was du tun willst, wie du leben möchtest und mit ihm darüber sprechen, aber respektiere das auch er seine Vorstellung von einem guten Leben hat.
Ich kenne deine Situation in einem anderen Kontext. Mein Mann ist Asperger-Autist. Die Diagnose bekamen wir erst im Erwachsenenalter. Es gab als Kind schon einen Verdacht, aber seine Familie ist dem nie nachgekommen und da er seine eigenen Überlebensstrategien entwickelt hatte, hat es auch seine Exfreundin, die Pflegerin in der Psychiatrie ist nicht bemerkt. Erst im Familienleben mit Kindern fiel auf das da einiges im Argen liegt, denn da funktionierten die ganzen Strategien nicht mehr. Durch einen Film über Asperger kam damals bei ihm dann der "Klick" als ihm auffiel das es ihm in vielen Dingen genauso ergeht. Wir ließen es abklären und bekamen den Verdacht bestätigt. Ab da ging es bei mir erstmal vorrangig um die Frage "kann ich damit leben? Es ist nicht einfach nur schlechte Erziehung, sondern etwas das bleibt. Etwas das er nicht einfach so "weg therapieren" kann. Natürlich kann man Strategien entwickeln für den Alltag, aber er ist eben wie er ist. Erst als ich die Frage ob ich damit leben kann und dies respektieren kann mit einem klaren "ja" beantworten konnte, ging es dann daran, wie können wir den Alltag für alle bestreiten, das es funktioniert und keiner zu kurz kommt. Es gibt Dinge die KANN er als Autist schlicht nicht leisten. Zum Beispiel kann er beim Familienspieleabend anwesend sein, das es ihm aber auch Spaß macht und in nicht stresst, das können wir nicht erwarten. Ergo haben wir hier den Kompromiss er ist für ein-zwei Runden dabei und darf sich dann zurück ziehen. Wir haben das Glück das er einer der wenigen Autisten ist die äußern können wie ihre Welt aussieht und daher konnten wir mit Hilfe einer Therapeutin eben auch unsern Alltag danach strukturieren.
Zu beginn war ich wie du, hab mich eingearbeitet und gesucht und gekämpft und mich dabei abwechselnd zurück gestellt oder eben auf bockig geschaltet. Ich habe angefangen ihn mehr zu bemuttern, als das ich uns als ebenbürtige und gleichwertige Erwachsene ansah. Erst als bei mir der Zusammenbruch kam, weil ich energetisch total am Ende war, kam das Bewusstsein auf, das es so nicht funktionieren kann. Ich fing an mich nicht mehr auf seine Defizite zu konzentrieren, sondern mehr und mehr auf seine Stärken. So übernimmt er zum Beispiel inzwischen Amtsgänge oder Arztgespräche, bei denen ich zu emotional reagiere. Ich musste lernen ihm dabei zu vertrauen und er zeigte mir auch das ich es kann. Er geht dabei unglaublich sortiert vor und kann mir alles wichtige Detailliert erklären, nach dem Besuch. Meine Ordnung wird er nie einhalten können, er sortiert Grundsätzlich Dinge anders ein als ich es tue, weshalb wir zum Beispiel am Kühlschrank einen Zettel hängen haben, wo was hingehört. Dennoch schreit er immer nach mir, wenn die Butter am richtigen Platz steht, weil er sie nicht sieht, weil sein Kopf sie woanders hinpacken würde. Das ist aber eine Kleinigkeit und darüber rege ich mich nicht auf, sondern reiche sie ihm dann schmunzelnd. Und das ist das Zauberwort! Schaue ob die Dinge wirklich den Stress wert sind. Sortiere die Dinge aus die nicht so wichtig sind und konzentriere dich lieber auf wirklich wichtiges. Lerne über das ein oder andere Hinweg zu sehen, das Ärger nicht wert ist. Mein Mann vergisst zum Beispiel ständig seinen Rasierer weg zu räumen, so mache ich das eben einfach, weil es nicht wichtig ist sich drüber zu ärgern, sondern viel wichtiger ist, das er weg ist und die Kinder sich nicht verletzen können. Vergessen tut ers das nächste mal sowieso wieder, aber ich habe mehr Stress wenn ich mit ihm zank deswegen anfange, als ihn einfach weg zu räumen. So übergebe ich ihm lieber die Aufgaben die er viel besser kann als ich. Und jeder Mensch hat solche Aufgaben die ihm besser liegen, als dem Partner. Wenn man Aufgaben nach Fähigkeiten und nicht nach Geschlecht oder Gesellschaftlichen Vorgaben sortiert, ist das zusammen leben ruhiger und entspannter.
Wir haben uns zum Beispiel erstmal zusammen getan und geschaut was dem einzelnen jeweils wichtig ist. Das nach Rang sortiert und dann den Alltag danach strukturiert. Und da ich alles kann nur keine Struktur auf dauer aufrecht erhalten, weil ich mich schnell langweile, ist es seine Aufgabe die Pläne am laufen zu halten und mich daran zu erinnern. Das ganze funktioniert deshalb, weil wir ungeachtet von irgendwelchen Diagnosen den andern so nehmen wie er ist, ohne an ihm rumdoktern zu wollen.
Der Satz er hat ADS, aber es ist "nur ADS" hat mich ehrlich gesagt etwas verstört. Sicher soll man sich nicht auf die Krankheit rausreden, aber es gibt nunmal Schwierigkeiten die nicht einfach so verschwinden und es gibt Themen die bleiben ein ewiger Kampf, auch wenn man Strategien entwickelt um besser damit umzugehen. Die Kraft für diesen Kampf muss man erstmal haben und der Mensch neigt auch ohne ADS dazu erst zu reagieren, wenn der Leidensdruck zu groß wird, denn dann erst wird es als Problem wahrgenommen. Solange bisherige Strategien funktionieren, wenn auch nicht zu einem guten Ergebnis führen, werden sie beibehalten und es gibt keinen Grund daran etwas zu ändern. Erst muss die Selbsterkenntnis kommen, von sich selbst heraus, von außen nimmt man es selten wirklich effektiv an, bevor die Bereitschaft da ist etwas zu tun. Dann hilft eine positive Begleitung und Bestärkung und vor allem Rückhalt Zuhause, vorher wird es aber als Stressfaktor empfunden, auch wenn es noch so liebevoll gemeint ist. Wenn etwas nicht funktioniert, bemerkt man das durchaus auch alleine und der ärger über sich selbst ist schon schlimm genug, weshalb jedes "darauf stupsen" von Außen die Sache noch schlimmer macht. Dann reagiert man ausweichend, rechtfertigend auch wenn es noch so absurd ist und man sich selbst bewusst ist, wie dumm das gerade ist. Selbst neutrale Fragen wie "Wann machst du XY?" können da schon triggern, weil man in dem Moment merkt "Mist ich hab es wieder vergessen" Was nicht bedeutet das man diese Fragen lassen soll, sondern das man sich eben im Bewusstsein hält, das solche Reaktionen oft einen anderen Hintergrund haben als es scheinen mag und versucht die Reaktion dann nicht auf sich selbst zu Beziehen, sondern sich bewusst macht, das war eine Reaktion auf die Situation, nicht auf mich. Das nimmt viel Stress raus und hilft bei sich selbst zu bleiben und hilft vor allem das Vertrauen aufrecht zu halten.
Es ist gut wenn du deinem Partner vermittelst was dich stresst in eurem Alltag, aber überlasse ihm die Entscheidung ob und was er dagegen machen möchte. Entscheidet er sich dafür nichts zu tun, dann musst du entscheiden ob das eine Partnerschaft ist die du führen magst. Sagt er von sich aus, er würde gerne, weiß aber nicht wie, biete ihm Hilfe an, begleite ihn in dem Maß das er als Angenehm empfindet und selbst bestimmt. Ich habe zum Beispiel meinen Partner gebeten, selbst wenn ich mit Unmut reagiere, wieder un wieder nachzufragen ob ich XY schon erledigt habe. Er weiß das mein Unmut nicht ihm gilt, sondern der Sache und das ich diesen Druck benötige. aber ich kann ihn nur annehmen, wenn ich selbst darum bitte. Kommt er ungebeten, schalte ich auf Stur, wie vermutlich so gut wie jeder andere Mensch, egal ob AD(H)S, Autismus, sonstige Leiden oder Normal.
In jeder Partnerschaft ist gegenseitiger Respekt und Kommunikation das A und O. Manchmal muss man erst einen Weg finden wie die Kommunikation gut stattfinden kann, dafür gibt es mehrere Wege. Die gewaltfreie Kommunikation ist allerdings diejenige mit der ich die beste Erfahrung gemacht habe in meiner Beziehung. Da mein Partner im direkten Gespräch aber dazu nicht in der Lage ist haben wir ein "besonderes" System. Ich schreibe meine Gedanken und Empfindungen in ein Tagebuch, das er lesen darf, dadurch kann er diese Wertfrei annehmen und reflektiert darüber nachdenken. Eben weil man ja in ein Tagebuch intime Gedanken reinschreibt und er sich bewusst hält das dies mein Bereich ist. Ich benötige das Mittel nicht, sondern kann direkt nachhaken was in ihm vor sich geht. Und wenn er das Gefühl hat ich gehe nicht angemessen auf ihn ein frage ich nach "Wie kann ich dir das Gefühl vermitteln, was benötigst du gerade?" für mich ist das Tagebuch aber auch der Bereich wo ich leichter meine Innenwelt in Worte fassen kann, wo mir im direkten Gespräch die Worte entgleiten. Weil ich den Gedankenfluss ungefiltert einfach niederschreiben kann. Vielleicht würde das ihm auch helfen. Ich schreibe nicht jeden Tag rein, sondern dann wenn ich Emotional gerade bewegt bin egal in welche Richtung, auch schönes. Das Selbstbild ist unglaublich wichtig! Wenn man ständig mit negativem konfrontiert wird, dem ärger über sich selbst, weil was nicht geklappt hat, oder weil Druck von außen kommt, sackt es in den Keller und es dauert bis es wieder heile ist. sich selbst bewusst zu machen wo schöne Dinge passiert sind und was toll gelaufen ist, hilft dabei ungemein. Vor allem baut es unglaublich viel Stress ab und kann in Zeiten wo die Energie nicht so da ist einen hübschen Motivationsschub geben.
Zum Thema Haushalt: ich habe gemerkt das ich meine Aufgaben im Haushalt am besten Abends erledigen kann, über Tag hab ich einfach nicht den Nerv dafür. Meine Familie ist daher inzwischen gewohnt das es manchmal eben abends um 22 Uhr nochmal rumpelt, weil ich dann beginne zu Spülen oder das Badezimmer zu putzen usw. vielleicht nimmt es auch euch Stress raus, wenn du nicht die Zeiten festlegst, sondern er die Zeiten festlegen darf, wann er am Produktivsten ist. Zu sagen "Erst Haushalt, dann PC wirkt nicht unbedingt. Wenn ich zum Beispiel gerade ein Häkelwerk oder Bild im Kopf habe, dann kann ich mich nur noch darauf konzentrieren und alles andere sind nervige Störfaktoren. Dann muss ich erst das erledigen bevor ich mich an das eigentlich wichtige machen kann.
Allerdings habe ich auch schnell gemerkt, das dieses ständig am Smartphone erreichbar sein zu können unglaublich viel Energie zerrt. Ich habe mich von Facebook und Co daher gelöst, weil sie mir keinen wirklichen Spaß bereitet haben. Aber diese Erkenntnis kam aus mir selbst heraus, von außen hätte ich sie nur sehr schwer annehmen können. Ich selbst hab den Druck verspürt und dadurch immer mehr genervtheit darüber, bis ich dann sagte "Schluss, der Mist nervt mich nur" und dann den Konsum eindämmte.
Was das gemeinsam Zeit verbringen geht, wäre eine Möglichkeit das du Morgens fragst ob er am Abend Lust hat mit dir XY zu machen, das du ihn nicht so spontan aus seinem Abendprogramm auf das er sich eingestellt hat raus reißt. Dann kann er sich vorbereiten darauf.
Das war jetzt viel Text *uff* Ich hoffe wirklich das was hilfreiches dabei war.
"Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen" (Immanuel Kant)